Ist mein Kind hochsensibel? HSP erkennen und verstehen


Von Windelprinz Redaktion -
           
Ist mein Kind hochsensibel?
 © Monstera / Pexels - Ist mein Kind hochsensibel? HSP erkennen und verstehen

Hochsensible Kinder reagieren empfindlicher auf äußere Reize und sind schnell überfordert. Andererseits besitzen die Kinder viel Empathie und streben nach Harmonie mit ihren Mitmenschen.

Hast du das Gefühl, dass dein Kind hochsensibel sein könnte? Hier findest du einen Überblick über die Persönlichkeitseigenschaft, die bereits kleine Kinder zu etwas ganz Besonderem macht.


Was ist Hochsensibilität bei Kindern?

Hochsensibilität, seltener Hochsensitivität, ist eine Persönlichkeitseigenschaft. Um den sperrigen Begriff abzukürzen, wird meist von HSP gesprochen, was "High Sensitive Person" bedeutet.

Hochsensible Kinder heben sich von nicht-hochsensiblen Mitmenschen durch feinfühligere Verhaltens- und Denkweisen ab. Sie nehmen ihre Umwelt intensiver wahr. Das kann sich daran zeigen, dass dein Kind mit lauten Geräuschen, lauter Musik, größeren Menschenmengen oder im Straßenverkehr schlecht umgehen kann und schnell überfordert wirkt. Oft kippt dann auch die Laune eines hochsensiblen Kindes, das sich aus dem ganzen Trubel am liebsten zurückziehen möchte und eingeschüchtert und mit starken Stimmungsschwankungen reagiert. Die Überreaktion lädt sich nicht selten in Wutausbrüchen ab, bei denen die Kinder nur schwer zu beruhigen sind.

Dabei handelt es sich jedoch nur um einige mögliche Reaktionen hochsensibler Kinder, denn hier sind verschiedene Ausprägungen möglich. Dass hochsensible Kinder zudem alle negativ auf laute Geräusche und Hektik reagieren, ist ein Trugschluss. Dazu später aber mehr.


Hochsensibilität ist keine Krankheit

Wichtig ist, dass du verstehst, dass ein hochsensibles Kind nicht krank ist und "geheilt" werden kann oder gar muss. Ein empfindsameres Kind benötigt eine angepasste Zuwendung, keine "Behandlung" im medizinischen Sinne. Ist dein Kind hochsensibel, bringt es viele positive Eigenschaften mit, aber eben auch ein paar Herausforderungen, mit denen es zu leben gilt. Je früher dies erkannt wird, umso besser können die besonderen Eigenschaften deines Kindes im Alltag berücksichtigt werden.

Hochsensibilität
 © Monstera / Pexels - Hochsensibilität ist keine Krankheit

Umgang mit Hochsensibilität damals und heute

Früher hatten hochsensible Menschen eine wichtige Stellung innerhalb der Familie. Durch ihre empfindlichere Wahrnehmung konnten sie mögliche Gefahren schneller erkennen und so ihre Familie warnen. Später, als das nicht mehr nötig war, wurden hochsensible Kinder regelrecht umerzogen. "Wenn dir das Essen nicht schmeckt, gehst du hungrig ins Bett!", "Stell' dich nicht so an, sei kein Schwächling!" oder "Hier ist es immer so laut, da musst du jetzt durch!" - das sind nur einige Beispiele, die Kindern dauerhaft eingeredet wurden, bis sie als Teil der Gesellschaft "normal" funktionierten. Ein gutes Beispiel dazu ist auch die Umerziehung von Linkshändern, was hierzulande noch in den 60er und 70er Jahren durchaus üblich war. Dass die Kinder dabei wirklich litten, wurde ignoriert.

Das ist heutzutage zum Glück anders. Die Linkshänder dürfen links schreiben und die hochsensiblen Kinder dürfen ihre Sinnesschärfe behalten. Die Qual hat damit ein Ende und die Kinder müssen nicht einen wesentlichen Bestandteil ihrer Persönlichkeit, bezogen auf HSP, aufgeben.

Heute, in einer hektischen Welt, die sich ständig verändert, stoßen hochsensible Menschen, insbesondere Kinder, schnell an ihre Grenzen. Die Welt besteht für sie praktisch aus einer dauerhaften Reizüberflutung. Ihr Kopf läuft ständig auf Hochtouren, um alle Sinneswahrnehmungen zu erfassen und zu verarbeiten. Sämtliche Reize nehmen sie nahezu ungefiltert wahr. Das ist eine enorme Belastung für Körper, Geist und Seele. Hier ist kein "Drill" von außen notwendig, um einen besseren Umgang mit den Reizen zu erzwingen, sondern eine empathische Herangehensweise mit viel Verständnis und Ruhe.


Ursache, Häufigkeit und Diagnose von Hochsensibilität

Forscher und Ärzte gehen davon aus, dass zwischen 15 und 30 Prozent aller Menschen hochsensibel sind. Als Ursache vermutet wird ein erblicher Zusammenhang. Besteht bei einem Elternteil oder der näheren Verwandtschaft Hochsensibilität, kann das Kind diese übernehmen.

Ob ein Kind hochsensibel ist, kann nur schwer diagnostiziert werden. "Diagnose" ist dabei aber ohnehin der falsche Begriff, da es sich nicht um eine Krankheit handelt. Viel mehr arbeiten Ärzte mit der "HSPS-G-Skala". Dabei handelt es sich um eine Übersetzung des Arbeitspapiers der US-amerikanischen Psychologin Elaine Nancy Aron aus dem Jahr 1997, welche die Persönlichkeitseigenschaft Hochsensibilität anhand von 26 Aussagen feststellen soll. Werden mehr als vier Antworten als zutreffend angegeben, ist die Wahrscheinlichkeit gegeben, hochsensibel zu sein.

Bei der Durchführung eines HSP-Tests ist es weniger hilfreich, wenn Eltern ihre eigene subjektive Wahrnehmung wiedergeben. Damit der Test authentisch ist, muss das Kind die Antworten selbst geben. Denn nur das Kind weiß, was in ihm vorgeht. Daher wird der Test erst ab dem Grundschulalter empfohlen, wenn sich das Kind ausdrücken kann. Jetzt kommt das große Aber: Es gibt derzeit keinen wissenschaftlich anerkannten Test für Hochsensibilität bei Kindern. Tests, die du im Internet findest, sind überwiegend Selbsttests. Sie sind in der Regel weder objektiv noch evidenzbasiert.

Häufigkeit von Hochsensibilität
 © Monstera / Pexels - 15 bis 30 Prozent aller Menschen sind hochsensibel

Wie verhalten sich hochsensible Kinder?

Zuallererst: Hochsensibilität kann nicht auf zwei, drei Eigenschaften heruntergebrochen werden. Es ist eine wahre Vielfalt an Aspekten, die hier zusammenkommen. Das kann im Alltag einschränken, aber in manchen Situationen auch sehr hilfreich sein.

Vermutest du, dass dein Kind hochsensibel sein könnte? Hier eine Auswahl an Aussagen. Entscheide, ob diese zutreffen oder nicht.

  • Dein Kind reagiert empfindlicher auf Geräusche. Es fühlt sich in einer lauten Umgebung unwohl.
  • In einer lauten, hektischen Umgebung fühlt es sich schnell überfordert.
  • Es reagiert sensibel auf verschiedene Geschmacksrichtungen, bestimmte Gewürze oder Gerüche. Stark gewürztes Essen wird abgelehnt.
  • Kleidung wird oft als kratzig empfunden und Etiketten stören ungewöhnlich oft.
  • Dein Kind kann sich nur schwer an Veränderungen gewöhnen.
  • Es ist sehr feinfühlig, versucht, Ärger zu vermeiden und strebt nach einem harmonischen Miteinander.
  • Dein Kind kann Lügen sehr gut erkennen.
  • Auf Kritik reagiert dein Kind sehr empfindlich, doch an anderen hat es immer etwas zu kritisieren.
  • Gleichzeitig kritisiert sich dein Kind selbst sehr hart und will immer perfekt sein, ist sich selbst aber nie gut genug.
  • Dein Kind fällt durch eine ausgeprägte Fantasie auf und zieht sich gerne in seine Fantasiewelt zurück.
  • Es wirkt oft reifer als andere Gleichaltrige und entwickelt schon früh einen ausgeprägten Wortschatz.
  • Vieles wird hinterfragt und dein Kind stellt dabei komplexe Gedankengänge an, die mitunter noch reifer wirken, als dein Kind ist.
  • Dein Kind fällt durch Überreaktionen und Wutanfälle auf, wenn es überfordert ist.
  • Dein Kind ist nach aufregenden Aktivitäten und Veränderungen auffällig erschöpft und muss sich erholen.

Treffen diese Aussagen überwiegend auf dein Kind zu, ist eine Hochsensibilität wahrscheinlich. Wichtig ist, dass du weißt, dass es sich dabei nicht um einen anerkannten Test handelt, der zweifelsfrei eine Hochsensibilität bestätigt. Betrachte es mehr als Orientierung und Hilfestellung, um den zukünftigen Weg und Umgang mit deinem Kind an dessen Bedürfnisse anzupassen.


Die Facetten von Hochsensibilität - und was ist mit ADHS?

Viele nehmen an, dass hochsensible Kinder auf die Überflutung an Reizen mit Zurückhaltung reagieren und generell introvertierte Menschen sind. Das ist aber nicht der Fall! Etwa zwei Drittel sind tatsächlich zurückhaltend und leise unterwegs, doch das verbliebene Drittel ist genau das Gegenteil. Für sie kann es nicht laut und hektisch genug sein, sie sind das pure Leben und versprühen eine Menge Energie. Extrovertierte, hochsensible Kinder können genauso der Klassenclown sein wie ein Kind mit ADHS und ebenso laut und zappelig. Genau das macht auch die Abgrenzung zu ADS oder ADHS mitunter schwierig, da viele Persönlichkeitseigenschaften bei Hochsensibilität und ADS / ADHS vorkommen können.

Zwischen Kindern mit ADS / ADHS und Hochsensibilität zeigt sich aber ein entscheidender Unterschied (ebenso, wie zwischen ADS und ADHS selbst): hochsensible Kinder können sich durchaus lange konzentrieren und bei einer Aufgabe bleiben. Das zeigt sich bei Geduldsaufgaben wie Puzzles und später in der Schule im Unterricht. Selbst wenn das hochsensible Kind quirlig ist, kann es sich in einer Umgebung, in der es sich wohlfühlt, durchaus einige Zeit auf eine bestimmte Aufgabe oder ein bestimmtes Spiel konzentrieren. Kindern mit ADHS fällt das grundsätzlich schwer. Sie wechseln häufig die Spielsachen, ihnen ist schnell langweilig, in der Schule führen sie Aufgaben nicht bis zum Ende aus, sondern schweifen mit ihren Gedanken immer wieder ab. Ein hochsensibles Kind kann in einem gesicherten Umfeld konzentriert Aufgaben zu Ende führen.

Tipp: Lies auch unseren Beitrag ADS und ADHS bei Kindern

Unterschied zwischen ADS und ADHS
 © ambermb / Pixabay - ADS und ADHS: Worin liegt der Unterschied?

Hochsensibilität in Kindergarten und Schule

Im Kindergarten fallen hochsensible Kinder oft in der Eingewöhnungsphase auf. Die Kinder sind es gewohnt, zu Hause von ihren Eltern betreut zu werden, plötzlich sollen sie in eine ihnen unbekannte Umgebung - auch noch alleine ohne Mama und Papa! Diese Umstellung zehrt an den Kindern, was sich häufig durch eine schwierige Eingewöhnung zeigt. Sie wollen nicht so recht mit der Gruppe warm werden, halten sich viel zurück und reagieren gestresst auf die vielen neuen Eindrücke. Beim Erlernen der neuen Regeln und Umgangsformen nehmen die Kinder Kritik sehr persönlich. All das kann genauso bei nicht hochsensiblen Kindern vorkommen, wenn auch nicht so ausgeprägt. In der Schule setzt sich die Feinfühligkeit fort.

Viele Eltern planen die gesamte Woche penibel durch, damit diverse Vereine, Freunde treffen und Familienausflüge Zeit finden. Eine volle Woche ist für hochsensible Kinder definitiv zu viel. Sie sind durch die Reizüberflutung in der Schule schon derart ausgeschöpft, dass sie nicht noch mehr Aktivität, sondern eher mehr Ruhe benötigen. Es muss also nicht noch ein Hobby dazu kommen. Gönne deinem Kind Ruhephasen, in denen es sich von dem ganzen Trubel erholen kann.

Das Gleiche gilt natürlich auch für die Erzieher und Erzieherinnen in den Kindergärten. Sie sollten hochsensiblen Kindern die Möglichkeit bieten, vom wuseligen Geschehen Abstand nehmen und sich in ihren persönlichen Wohlfühlbereich zurückziehen zu können.


Tipps für Eltern hochsensibler Kinder

Hier könnten viele Tipps und Tricks stehen, doch letztlich ist jedes Kind individuell. Daher wissen die Eltern noch immer am besten, was ihrem Kind guttut und wobei es sich unwohl fühlt. Der Trick dabei ist eigentlich nur, eine gesunde Balance zwischen fördern und lenken zu finden und ein harmonisches Miteinander zu erreichen. Ein hochsensibles Kind kann nicht immer alles vermeiden, was ihm nicht gefällt. Immer wieder wird es in Situationen geraten, die es eigentlich nicht möchte. Das Ziel fürsorglicher Eltern und Erzieher / Erzieherinnen sollte daher sein, dem Kind Möglichkeiten zu zeigen, wie es mit solchen Ereignissen umgehen und wie es vielleicht sogar seine Hochsensibilität als Stärke nutzen kann.

Hochsensible Kinder sind oft von starken Selbstzweifeln gequält. Kritik an ihnen zu üben, ist schwierig, egal, wie vorsichtig diese ausgedrückt wird. Gib deinem Kind nie das Gefühl, nicht gut genug zu sein. Vermeide Vergleiche, in denen dein Kind schlechter dasteht als andere. "Dein Bruder konnte das aber schon in deinem Alter!" - diese und ähnliche Aussagen sind kontraproduktiv. Selbst "Das rote Kleid stand dir besser!" kann zu viel sein. Hier musst du das Mittelmaß finden, je nachdem, wie sensibel dein Kind ist.

Gewähre deinem Kind im Alltag Auszeiten, gerade nach aktiven Phasen. Wenn das Etikett in der Kleidung stört oder der Aufnäher, obwohl für dich alles kuschelig weich ist, akzeptiere die Ansicht deines Kindes. Nur dein Kind weiß, wie schlimm sich diese eine Naht auf der Haut anfühlt und wie scharf das Essen schmeckt, obwohl nur ein Hauch Pfeffer im Topf ist. "Stell' dich nicht so an!" und ähnliche Sätze drängen dein Kind in eine beengte Situation, in der es sich hilflos und überfordert fühlt.

Ein sensibles Kind benötigt vor allem den Rückhalt in der Familie und im Freundeskreis. Das Gefühl, dass es geliebt und akzeptiert wird, in all seinen Facetten. Fehler dürfen passieren, auch öfter als bei anderen. Nimm es gelassen und erfreue dich an der blühenden Fantasie und den geschärften Sinnen deines Kindes. Denn es ist perfekt, genau so, wie es ist!

Tipps für Eltern hochsensibler Kinder
 © Monstera / Pexels - Hochsensible Kinder benötigen Auszeiten und Rückhalt